7.Zielgruppen
Es gibt zwei wichtige Entscheidungen bei der Planung einer
Computeranwendung - die Wahl eines Zieles und die Wahl einer
Zielgruppe. Nachdem ich im vierten Kapitel auf die Ziele eingegangen
bin, werde ich in diesem Kapitel auf die Zielgruppen näher
eingehen. Zielgruppen als eine Gruppe von Personen mit spezifischen
Merkmalen spielen eine bedeutende Rolle bei der Planung und
Entwicklung einer Computeranwendung . Dies reicht von der Wahl des
Eingabemediums über die Oberflächengestaltung bis hin zu
inhaltlichen Entscheidungen, die abhängig von der Zielgruppe
getroffen werden müssen. Die Zielgruppen sollten von Anfang an
definiert und in der Planung berücksichtigt werden, da ein
spätere Anpassung der Computeranwendung umständlich, teuer
und teilweise nicht möglich ist.
Nützlich ist ein Besucherprofil (d.h. eine Charakterisierung
der Besucher nach Alter, Bildung, Interesse etc.) des
zukünftigen Standortes. In vielen Umweltzentren existieren
bereits Informationen über die Besucher. In einem Fragebogen der
Arbeitsgemeinschaft Natur und Umweltbildung wird zwischen folgenden
Zielgruppen unterschieden: "LehrerInnen, SchülerInnen,
ErzieherInnen, TouristInnen, PolitikerInnen, Landwirte, Erwachsene,
Vereine, Gruppen, Kindergärten, berufsbildene Schulen,
Hochschulen" (Kochanek 1996, S. 583). Die Ergebnisse einer Befragung
aus dem Jahr 1996 von 419 Umweltzentren sind bei Kochanek
"Umweltzentren in Deutschland" einsehbar (Kochanek 1996).
Über Museumsbesucher liegen zahlreiche
Veröffentlichungen vor . Leider ist der "charakteristische
Museumsbesucher eine unbestimmbare Fiktion" (Klein 1990), d.h. es
gibt keinen Idealtyp eines Besuchers, dessen Ansprüche man
befriedigen kann. Wenn sich trotzdem bei der Analyse des
Besucherprofils eine bestimmte Gruppe als besonders bedeutend
für die Ausstellung herausstellt, kann die Anwendung gezielt auf
diese hin entwickelt werden. So wird die Entwicklung der
Computeranwendung vereinfacht. Aber auch bei der Entwicklung für
eine bestimmte Zielgruppe wie z.B. Hauptschüler im Alter von
dreizehn Jahren sollte auf Zielgruppen wie Behinderte, Ausländer
etc. Rücksicht genommen werden (näheres s.u.). Die
Entwicklung für eine Schnittmenge von verschiedenen Zielgruppen
dagegen ist sehr komplex und ohne eine Zielgruppenvorgabe kann eine
Computeranwendung für viele Besucher unbefriedigend entwickelt
sein.
Die folgende Tabelle gibt einen
Überblick über die verschiedenen Kriterien von Zielgruppen
, wobei mehrere Kriterien auf eine Person zutreffen können:
1.
|
Altersstufe:
|
Kind , Jugendlicher, Erwachsener, Senior
|
2.
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Bildungsstufe:
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Vorschüler , Schüler, Auszubildender, Student,
berufserfahrene Person
|
3.
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Bildungsabschluß:
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kein Abschluß, Haupt-, Realschule, Gymnasium,
Lehre, Fachhochschule, Universität
|
4.
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Berufsgruppe:
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In Ausbildung, nicht berufstätig (Arbeitsloser,
Sozialhilfeempfänger, Hausmann), Berufstätiger
(Arbeiter, Facharbeiter, Angestellter, Beamter,
Selbständiger), Rentner oder Pensionär
|
5.
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Funktion:
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Endbenutzer, Multiplikator
|
6.
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Computerniveau:
|
Unerfahrener, Anfänger, Normalnutzer,
Spezialisten
|
7.
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Besucherart:
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Einzel- oder Gruppenbesucher
|
8.
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Spezieller Wissensstand:
|
Laie, Autodidakt, Wissenschaftler
|
9.
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Berufsgruppe:
|
Lehrer, Landwirt, Handwerker, Politiker usw.
|
10.
|
Besuchertyp:
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Sachlich oder ästhetisch/unterhaltend
interessiert
|
11.
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Vorbereitung:
|
Besucher mit oder ohne Vorbereitung
|
12.
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Besuchsanzahl:
|
Erstbesuch oder wiederholter Besuch
|
13.
|
Besucheraufkommen:
|
wenige oder viele Besucher
|
14.
|
Weitere Besonderheiten:
|
Analphabet, Ausländer, Behinderter, Familie, Links-
und Rechtshänder, Rot-Grün-Blindheit,
Verweildauer
|
Tabelle 1: Zielgruppen
Im folgenden Teil dieses Kapitels wird ausführlicher auf die
Kriterien eingegangen und es werden einzelne Beispiele für die
Bedeutung und die Auswirkung der Zielgruppenwahl in Bezug auf die
Entwicklung einer Computeranwendung genannt.
- Die Altersstufe hat mehrere Auswirkungen. Sie spielt eine
Rolle für den Sprachschatz, der verwendet werden soll, da
sich der Sprachgebrauch von Jugendlichen von dem der Erwachsenen
unterscheidet (Fremdwörter u.ä.). Auch im Inhalt, der
Aufbereitung der Informationen, des Themas und der
Vermittlungsweise, eher lehrend oder spielerisch, gibt es
Unterschiede. Bei der Entwicklung einer Computeranwendung
muß auf den körperlichen Entwicklungszustand von
Kindern Rücksicht genommen werden, wenn Erwachsene und Kinder
sie nutzen sollen. Dies gilt für Aus- und Eingabegeräte.
Entweder bietet man einen Hocker an, baut eine verstellbare
Anwendung oder installiert zwei Geräte in verschiedenen
Gehäusen. Bei Sitzgelegenheiten sollte auch an eine
Rückenlehne für ältere Personen gedacht
werden.
- Die Bildungsstufe kann gezielt benutzt werden, z.B. wenn in
einem Bundesland ein Grundwissen, welches laut Lehrplan in der
Schule vermittelt wurde, vorausgesetzt werden kann. Der
Schüler findet in der Computeranwendung dann bekannte
Informationen, kann schon erlerntes Wissen anwenden und sich neue
Informationen aneignen.
- Der Bildungabschluß kann Informationen über
vorhandenes Wissen und die Art der Informationsverarbeitung geben,
ebenso auf das vom Besucher erwartete Informationsniveau.
- Die soziale Schicht kann Auswirkungen auf die Ziele und
Inhalte der Computeranwendung haben, z.B. können Probleme aus
dem Alltag der Besucher gewählt werden.
- Die Funktion als Endbenutzer oder Multiplikator wie Lehrer,
Erzieher oder einer im Umweltbildungsbereich tätigen Person
bewirkt unterschiedliche Ansprüche an den Inhalt einer
Computeranwendung. Der Endbenutzer will Material mitnehmen, um es
zu Hause für sich nutzen zu können, sei es zum
Nachbereiten oder zum Nachschlagen. Ein Multiplikator will neben
Sachinformationen didaktische Anregungen erhalten, die er selber
nutzen kann. Vielleicht will er auch Material direkt in seiner
nächsten Schulstunde ohne großen Aufwand einsetzen
können.
- Das Computerniveau, also der Wissensstand im Umgang mit einem
Computer, spielt eine Rolle bei der Auswahl der Eingabemedien.
Für ungeübte Nutzer ist eine Maus nur sehr schwer zu
bedienen, große Tasten dagegen leicht. Teilweise lassen sich
aus dem Ziel der Computeranwendung die zu erwartenden Kenntnisse
abschätzen. So haben Personen, die wissenschaftlich in einem
Museum arbeiten wollen, im allgemeinen grundlegende
Computerkenntnisse.
- Die Besucherart spielt eine Rolle bei der Auswahl des
optischen Ausgabemediums. Während bei Einzelbesuchern ein
Bildschirm ausreicht, kann es bei Besuchergruppen schnell zu
Problemen kommen. Auf einen Monitor können maximal zehn
Personen dem Geschehen folgen, etwas lesen können jedoch nur
wenige. Bei einer Schulklasse von dreißig Kindern taucht
damit ein Problem auf. Hier kann ein Beamer eine Projektion auf
die Wand werfen, eine Monitorwand ein vergrößertes
Abbild des Monitors zeigen oder es können mehrere Monitore
eingesetzt werden, die alle das gleiche zeigen. Beim letzteren ist
nur ein Monitor "interaktiv", an diesem kann dann der Lehrer oder
der Museumsführer stehen und die Computeranwendung nutzen.
Eine weitere Möglichkeit ist der Einsatz von mehreren
Ausstellungseinheiten mit der gleichen Computeranwendung, wie dies
im Aquarius Wassermuseum in Mülheim/Ruhr der Fall ist. Dort
stehen drei identische Computeranwendungen mit dem gleichen
Anwendungsprogramm nebeneinander, was positiv ist, da diese
Anwendungen eine längere Nutzungszeit fordern. Ein Sonderfall
ist die Ergänzung des Hauptbildschirms durch weitere
Monitore, die einen anderen Blickwinkel oder eine andere
Sichtweise ergänzend zum Hauptmonitor anbieten (z.B. Aquarius
Wassermuseum, Mühlheim). Man kann allerdings auch das
Gegenteil machen wie im Römermuseum in Haltern, in dem die
"ohnehin etwas versteckt angebrachte Videoinstallation
während der Führung von Schulklassen ausgeschaltet"
bleibt (Hubrath 1996, S. 21), um eine Ablenkung der Schüler
zu vermeiden. Diese Möglichkeit sollte bei der Entwicklung
eingeplant werden.
- Der zu erwartende spezielle Wissensstand des Besuchers hat
hauptsächlich Auswirkungen auf inhaltliche Aspekte. Einem
Laien müssen Fachausdrücke erläutert werden, er
benötigt eine Einführung in das Thema. Ein
Wissenschaftler aus diesem Fachgebiet wünscht vertiefende
Fakten. Mitglieder von Bürgerinitiativen wünschen eher
praktische Hinweise, mit einen hohen Nutzwert.
- Spezielle Berufsgruppe haben einen unterschiedlichen
kulturellen Hintergrund und werden mit verschiedenen Zielen
angesprochen, sofern sie nicht als Privatperson angesprochen
werden sollen. Landwirte z.B. werden Interesse an
Computeranwendungen zum ökologischen Pflanzenschutz haben, in
denen zahlreiche Fachausdrücke vorkommen.
- Der Besuchsgrund spielt eine nicht unwesentliche Rolle.
- "Unsere These lautet, daß der sachlich interessierte
(»lernwillige«) Besucher irgendeine Form der
Überblicks- oder Hintergrundinformation sucht oder
voraussetzt. Demgegenüber wünscht sich der
tendenziell eher auf den ästhetischen oder
Unterhaltungswert des zu Besichtigenden hin orientierte
Besucher kurze, unmittelbar den Exponaten zugeordnete
Informationen."(Klein 1990)
Es kann jedoch mit dem Medium Computer die Aufmerksamkeit
für ein tiefergehendes Ziel bei Personen, die nur zur
Unterhaltung Ausstellungen besuchen, erreicht werden.
- Die Vorbereitung auf einen Museumsbesuch oder den Besuch eines
Umweltzentrums läßt Rückschlüsse auf ein
Grundwissen zu, auf welches zurückgegriffen werden kann. Die
Vorbereitung kann durch Informationsangebote in einer Schulklasse
oder durch ein Selbststudium mit Hilfe von Printmedien, CD-ROMs
oder Internet-Veröffentlichungen stattfinden.
- Die Besuchsanzahl, also ob der Besucher zu ersten Mal die
Ausstellung betritt oder ob er zum wiederholten Male da ist, ist
ein weiterer Anhaltspunkt für die Planung. Ein
wiederkehrender Besucher will entweder eine hohe Informationstiefe
oder aktualisierte Daten vorfinden, da ansonsten die
Computeranwendung für ihn uninteressant ist.
- Die Besucherzahl ist wichtig für die Inhaltstiefe der
Anwendung. Wenn viele Besucher die Computeranwendung benutzen
sollen, darf das Anwendungsprogramm nur Informationseinheiten im
Minutenbereich (ca. 1-3) haben. Bei einer möglichen
Nutzungszeit von über fünf Minuten pro Besucher kann ein
breites und tiefes Informationsangebot geschaffen werden.
- Auf Sondergruppen kann in einer Computeranwendung speziell
eingegangen werden. Analphabeten und Personen mit
Leseschwächen könnten auf eine Version ausweichen, die
entweder auf Schrift verzichtet oder in der Anwendung werden die
Texte auf Knopfdruck hörbar gemacht. Bei Ausländern
müssen Sprache, kultureller Hintergrund und Religion beachtet
werden. Bei Computeranwendungen, die von vielen fremdsprachigen
Besuchern benutzt werden sollen, sollte von Anfang an auf
Mehrsprachigkeit Wert gelegt werden. Diese kann eine
Auswahlmöglichkeit am Anfang oder ein Wechsel zwischen den
Sprachen zu jedem Zeitpunkt bedeuten. Das Deutsche Museum in
München bietet für seine internationalen Besucher in
seinen Computeranwendungen zumeist Englisch als Zweitsprache an.
Eine Informationsstation für das Wattenmeer an der
dänischen Grenze dagegen sollte Deutsch und Dänisch
anbieten. Der kulturelle Hintergrund ist auch bei
deutschsprachigen Besuchern aus anderen kulturellen Kreisen von
Bedeutung. Die falsche Verwendung von religiösen Symbolen
oder Farben kann negative Folgen haben, zum Beispiel sollte ein
Umweltzentrum, das in einem Gebiet mit einer überwiegend dem
türkischen Kulturkreis zugehörigen Bevölkerung
liegt deren Besonderheiten kennen und darauf eingehen.
Körperlich behinderte Menschen werden häufig bei
Computeranwendungen nicht berücksichtigt, obwohl dies in
vielen Fällen relativ einfach möglich ist.
Rollstuhlfahrer können nur eine gewisse Höhe erreichen
und haben einen eingeschränkten Blickwinkel. Die optimale
Lösung wäre eine höhenverstellbare Installation,
bei der der Monitor auf eine gewünschte Höhe verstellt
werden kann. Sitzgelegenheiten sollten nicht fest installiert
werden, sondern frei beweglich sein. Blinde Besucher können
mit Sprachausgaben Informationen erhalten , ein Touchscreen ist
für sie allerdings ebenso wie eine Maus u.ä.
unpraktisch. Sinnvoller ist der Einsatz von Braille-Tastaturen ,
die eine Wiedergabe der Bildschirmschrift in Blindenschrift
ermöglichen. Für gehörlose bzw. schwerhörige
Besucher sind gesprochene Informationen und Töne visuell
sichtbar zu machen. Dies reicht von der schriftlichen
Textwiedergabe bis hin zur Visualisierung von Tönen, die bei
einem Tastendruck als Reaktion abgespielt werden.
Bei Familien handelt es sich um eine besondere Gruppe, da es sich
dabei um eine Mischgruppe von Personen verschiedener Altersstufen
handelt, die sich gegenseitig ergänzen können. Die
Mutter kann z.B. dem Sohn komplizierte Worte erklären,
während er die Anwendung benutzt. So erreichen Inhalte einer
Computeranwendung verschiedene Zielgruppen. In einem solchen Fall
muß mehr als ein Sitzplatz als Sitzgelegenheit vorhanden
sein.
Anwendungen für Links- und Rechtshänder unterscheiden
sich bei der Anordnung von Tasten auf einem
berührungssensitiven Bildschirm. "Die meisten Besucher sind
Rechtshänder. Es wäre demnach aus ergonomischer Sicht
unsinnig, die Bedienungselemente eines Touchscreen am oberen oder
linken Bildschirmrand anzubringen, da der Schirm dann während
der Bedienung durch die Hand verdeckt wird."(Welsch 1997, S. 86).
Man sollte auf rot-grün-blinde Personen Rücksicht
nehmen, wenn Farben zur Unterscheidung von wichtigen Punkten
eingesetzt werden. Die durchschnittliche Verweildauer, also ob
viel oder wenig Zeit in die Nutzung einer Computeranwendung
investiert werden kann, läßt Rückschlüsse auf
die zu erreichende Informationstiefe zu.


© Marc Jelitto, 1997,
Universität Lüneburg, Magisterarbeit: Umwelt- und
naturbezogene Computeranwendungen für Besucher in Museen und
Umweltzentren